Ausweichwerke des Bosch-Konzerns
Bereits 1933, im Jahr der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wandten sich Vertreter der neuen Regierung an Robert Bosch, den Gründer des Bosch-Konzerns, und forderten ihn auf, ein Verlagerungswerk im Innern Deutschlands aufzubauen. Die Stuttgarter Bosch AG war Marktführer bei der Ausrüstung von Kraftfahrzeugen und Flugmotoren und damit ein Schlüsselbetrieb für die Aufrüstung des Deutschen Reiches. Vor allem die Einspritzpumpen, Anlasser und Magnetzünder von Bosch waren unersetzlich; eine etwaige Unterbrechung der Fertigung hätte empfindliche Auswirkungen auf die Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten haben können. Weil der Raum Stuttgart wegen seiner Nähe zu Frankreich gegebenenfalls militärisch schwer zu verteidigen sei, so die Militärs, solle das Unternehmen eine Ausweichfabrik in einer sicheren Region errichten.
Bosch war nicht das einzige Unternehmen, das in den ersten Jahren der NS-Herrschaft Verlagerungswerke gründete. Die Nationalsozialisten verfolgten von Anfang an eine Politik der Duplizierung und Dezentralisierung von Rüstungsunternehmen, schrieb ein US-amerikanischer Berichterstatter 1943. „Es war nicht gestattet, weitere Fabriken bei schon existierenden Anlagen zu bauen, vor allem dann nicht, wenn diese in den angreifbaren westlichen Regionen Deutschlands lagen.“ Umgekehrt wurden Schlüsselunternehmen der Rüstungsindustrie dazu angehalten, Zweitanlagen zu bauen. Diese „Schattenfabriken“, wie die Amerikaner sie nannten, entstanden unter größter Geheimhaltung und in enger Zusammenarbeit mit den NS-Behörden.

Modell des Ausweichwerks II im Hildesheimer Wald, 1938
Boscharchiv Hildesheim, Plan_01_Modell_ELFI_1938
Bosch gründete 1935 und 1937 gleich zwei solcher Ausweichwerke: die Dreilinden Maschinenbau GmbH in Kleinmachnow bei Berlin und die Elektro- und Feinmechanische Industrie GmbH (später Trillke-Werke GmbH) in Hildesheim. Beide Werke dienten ausschließlich der Rüstungsproduktion.
In Stuttgart-Mühlhausen und Crailsheim entstanden in den folgenden Jahren weitere Werke zur Herstellung von Zündspulen, Zündverteilern und Schweröldüsen, in Bamberg wurde 1939 ein Außenwerk gegründet, das die Zündkerzenfertigung übernahm. Während des Krieges wurde die Produktion weiter dezentralisiert, Bosch produzierte in einer immer größeren Zahl von Fabriken, die als weniger kriegswichtig galten, und verlagerte Teile der Fertigung an 213 Stellen in mehr als 100 Orten.
Das Ausweichwerk I: die Dreilinden Maschinenbau GmbH
Die Dreilinden Maschinenbau GmbH (DLMG) war das erste Ausweichwerk (AW I) von Bosch. Schon im Juli 1934 schlossen das Reichsluftfahrtministerium und die Robert Bosch AG einen Vertrag über den Bau dieser Fabrik für den Bedarf der deutschen Luftwaffe. Bereits im folgenden Jahr lief in drei Werkshallen die Produktion an. Bosch fertigte hier Zünder, Anlasser, Lichtmaschinen und anderes Zubehör für Flugzeuge.

Bosch machte in Fachbüchern und -zeitschriften Werbung für Flugmotorenzubehör
aus: Otto Holbach, Deutscher Flugzeugbau, 1942, S. 248
Die DLMG wurde – ebenso wie später auch die Hildesheimer Elektro- und Feinmechanische Industrie GmbH (ELFI) – entsprechend den nationalsozialistischen Richtlinien gebaut: Um die Werke vor der Entdeckung durch Aufklärungsflugzeuge zu schützen, wurde die Produktion auf mehrere relativ kleine Hallen verteilt, die im Wald lagen und dadurch den Eindruck einer Wohnsiedlung erwecken sollten. Außerdem wollte man durch diese Bauweise etwaige Folgeschäden bei Luftangriffen begrenzen.
Während der Aufbauphase der Dreilinden Maschinenbau GmbH entwickelte das Reichsluftfahrtministerium ein ehrgeiziges Luftrüstungsprogramm. Danach sollten bis 1938 fast 12.000 Flugzeuge hergestellt werden. Entsprechend wurde die Produktion ausgebaut, von 1933 bis 1938 stieg die Zahl der Beschäftigten im Flugzeug- und Flugmotorenbau von etwa 6.000 auf 168.000 Personen.
Davon profitierte auch die Zulieferfirma Dreilinden Maschinenbau GmbH. Sie expandierte schnell. Ihr Umsatz stieg von 700.000 RM im Jahr 1938 auf knapp 33 Millionen RM 1942. In den letzten Kriegsjahren beschäftigte sie rund 5.000 Personen, mehr als 2.500 von ihnen waren Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen. Von Herbst 1944 bis April 1945 setzte das Unternehmen außerdem etwa 800 weibliche KZ-Häftlinge ein. Nach Kriegsende wurde die DLMG von der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet; die Werkshallen wurden gesprengt.
Das Ausweichwerk II und das Montanschema
Auch für die Motorisierung des Heeres sollte Bosch ein Ausweichwerk fern von den Grenzen des Deutschen Reiches errichten: eine Fabrik für Lichtmaschinen, Magnetzünder und Anlasser, also für die gesamte elektrotechnische Ausrüstung von Panzern, Zugmaschinen und Lastkraftwagen der Wehrmacht.

Neben elektrischen Anlassern wurden auch Schwungkraftanlasser in die Panzer eingebaut, deren Batterien oft überlastet waren.
Aus Manfred Overesch, Bosch in Hildesheim 1937-1945, Göttingen 2008, S. 110
Im Frühjahr 1937 trat das Heereswaffenamt mit einer entsprechenden Forderung an die Firma heran. Aber während Bosch den Bau der DLMG aus eigenen Mitteln bestritten hatte, boten die Nationalsozialisten dem Unternehmen für das Ausweichwerk II ein ausgesprochen attraktives Finanzierungsmodell an, das den Konzern finanziell entlastete und seine Risiken minimierte: das sogenannte Montanschema.
Danach erhielt ein Privatunternehmen von der zuständigen Heeresdienststelle des Oberkommandos des Heeres (OKH) den Auftrag, auf Kosten des Reiches eine Rüstungsfabrik zu bauen. Eigentümerin des neuen Werks war die Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH (Montan GmbH), eine Treuhandgesellschaft des Heereswaffenamtes. Sie verpachtete die fertigen Werksanlagen an die beauftragte Privatfirma. Diese wiederum gründete dazu eine Tochtergesellschaft und verpflichtete sich, die neue Fabrik mit dem erforderlichen Know-how einzurichten und zu betreiben.
Auf diese Weise erreichte das Heereswaffenamt, dass private Industriekonzerne für militärisch wichtige Produkte Fabriken auch dann betrieben, wenn diese langfristig nicht rentabel zu sein schienen: Die beteiligten Unternehmen hatten den Vorteil, dass der Staat das finanzielle Risiko abdeckte. Außerdem wurden sie bei der Zuteilung von Arbeitskräften, Rohstoffen und Energie bevorzugt.
Das Montanschema begünstigte auch die Geheimhaltung der neuen Rüstungsstandorte: Die neu gegründeten Tochterfirmen verschleierten mit ihren Tarnnamen den Rüstungszweck, und die Heeresleitung trat nicht als Geldgeberin in Erscheinung. Bis Kriegsende wurden 119 solcher Betriebe eingerichtet.