Schattenfabriken
Ausweichwerke des Bosch-Konzerns
Bereits 1933, im Jahr der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wandten sich Vertreter der neuen Regierung an Robert Bosch, den Gründer des Bosch-Konzerns, und forderten ihn auf, ein Verlagerungswerk im Innern Deutschlands aufzubauen. Die Stuttgarter Bosch AG war Marktführer bei der Ausrüstung von Kraftfahrzeugen und Flugmotoren und damit ein Schlüsselbetrieb für die Aufrüstung des Deutschen Reiches. Vor allem die Einspritzpumpen, Anlasser und Magnetzünder von Bosch waren unersetzlich; eine etwaige Unterbrechung der Fertigung hätte empfindliche Auswirkungen auf die Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten haben können. Weil der Raum Stuttgart wegen seiner Nähe zu Frankreich gegebenenfalls militärisch schwer zu verteidigen sei, so die Militärs, solle das Unternehmen eine Ausweichfabrik in einer sicheren Region errichten.
Bosch war nicht das einzige Unternehmen, das in den ersten Jahren der NS-Herrschaft Verlagerungswerke gründete. Die Nationalsozialisten verfolgten von Anfang an eine Politik der Duplizierung und Dezentralisierung von Rüstungsunternehmen, schrieb ein US-amerikanischer Berichterstatter 1943. „Es war nicht gestattet, weitere Fabriken bei schon existierenden Anlagen zu bauen, vor allem dann nicht, wenn diese in den angreifbaren westlichen Regionen Deutschlands lagen.“ Umgekehrt wurden Schlüsselunternehmen der Rüstungsindustrie dazu angehalten, Zweitanlagen zu bauen. Diese „Schattenfabriken“, wie die Amerikaner sie nannten, entstanden unter größter Geheimhaltung und in enger Zusammenarbeit mit den NS-Behörden.
Bosch gründete 1935 und 1937 gleich zwei solcher Ausweichwerke: die Dreilinden Maschinenbau GmbH in Kleinmachnow bei Berlin und die Elektro- und Feinmechanische Industrie GmbH (später Trillke-Werke GmbH) in Hildesheim. Beide Werke dienten ausschließlich der Rüstungsproduktion.
In Stuttgart-Mühlhausen und Crailsheim entstanden in den folgenden Jahren weitere Werke zur Herstellung von Zündspulen, Zündverteilern und Schweröldüsen, in Bamberg wurde 1939 ein Außenwerk gegründet, das die Zündkerzenfertigung übernahm. Während des Krieges wurde die Produktion weiter dezentralisiert, Bosch produzierte in einer immer größeren Zahl von Fabriken, die als weniger kriegswichtig galten, und verlagerte Teile der Fertigung an 213 Stellen in mehr als 100 Orten.
Das Ausweichwerk I: die Dreilinden Maschinenbau GmbH
Die Dreilinden Maschinenbau GmbH (DLMG) war das erste Ausweichwerk (AW I) von Bosch. Schon im Juli 1934 schlossen das Reichsluftfahrtministerium und die Robert Bosch AG einen Vertrag über den Bau dieser Fabrik für den Bedarf der deutschen Luftwaffe. Bereits im folgenden Jahr lief in drei Werkshallen die Produktion an. Bosch fertigte hier Zünder, Anlasser, Lichtmaschinen und anderes Zubehör für Flugzeuge.
Die DLMG wurde – ebenso wie später auch die Hildesheimer Elektro- und Feinmechanische Industrie GmbH (ELFI) – entsprechend den nationalsozialistischen Richtlinien gebaut: Um die Werke vor der Entdeckung durch Aufklärungsflugzeuge zu schützen, wurde die Produktion auf mehrere relativ kleine Hallen verteilt, die im Wald lagen und dadurch den Eindruck einer Wohnsiedlung erwecken sollten. Außerdem wollte man durch diese Bauweise etwaige Folgeschäden bei Luftangriffen begrenzen.
Während der Aufbauphase der Dreilinden Maschinenbau GmbH entwickelte das Reichsluftfahrtministerium ein ehrgeiziges Luftrüstungsprogramm. Danach sollten bis 1938 fast 12.000 Flugzeuge hergestellt werden. Entsprechend wurde die Produktion ausgebaut, von 1933 bis 1938 stieg die Zahl der Beschäftigten im Flugzeug- und Flugmotorenbau von etwa 6.000 auf 168.000 Personen.
Davon profitierte auch die Zulieferfirma Dreilinden Maschinenbau GmbH. Sie expandierte schnell. Ihr Umsatz stieg von 700.000 RM im Jahr 1938 auf knapp 33 Millionen RM 1942. In den letzten Kriegsjahren beschäftigte sie rund 5.000 Personen, mehr als 2.500 von ihnen waren Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen. Von Herbst 1944 bis April 1945 setzte das Unternehmen außerdem etwa 800 weibliche KZ-Häftlinge ein. Nach Kriegsende wurde die DLMG von der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet; die Werkshallen wurden gesprengt.
Das Ausweichwerk II und das Montanschema
Auch für die Motorisierung des Heeres sollte Bosch ein Ausweichwerk fern von den Grenzen des Deutschen Reiches errichten: eine Fabrik für Lichtmaschinen, Magnetzünder und Anlasser, also für die gesamte elektrotechnische Ausrüstung von Panzern, Zugmaschinen und Lastkraftwagen der Wehrmacht.
Im Frühjahr 1937 trat das Heereswaffenamt mit einer entsprechenden Forderung an die Firma heran. Aber während Bosch den Bau der DLMG aus eigenen Mitteln bestritten hatte, boten die Nationalsozialisten dem Unternehmen für das Ausweichwerk II ein ausgesprochen attraktives Finanzierungsmodell an, das den Konzern finanziell entlastete und seine Risiken minimierte: das sogenannte Montanschema.
Danach erhielt ein Privatunternehmen von der zuständigen Heeresdienststelle des Oberkommandos des Heeres (OKH) den Auftrag, auf Kosten des Reiches eine Rüstungsfabrik zu bauen. Eigentümerin des neuen Werks war die Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH (Montan GmbH), eine Treuhandgesellschaft des Heereswaffenamtes. Sie verpachtete die fertigen Werksanlagen an die beauftragte Privatfirma. Diese wiederum gründete dazu eine Tochtergesellschaft und verpflichtete sich, die neue Fabrik mit dem erforderlichen Know-how einzurichten und zu betreiben.
Auf diese Weise erreichte das Heereswaffenamt, dass private Industriekonzerne für militärisch wichtige Produkte Fabriken auch dann betrieben, wenn diese langfristig nicht rentabel zu sein schienen: Die beteiligten Unternehmen hatten den Vorteil, dass der Staat das finanzielle Risiko abdeckte. Außerdem wurden sie bei der Zuteilung von Arbeitskräften, Rohstoffen und Energie bevorzugt.
Das Montanschema begünstigte auch die Geheimhaltung der neuen Rüstungsstandorte: Die neu gegründeten Tochterfirmen verschleierten mit ihren Tarnnamen den Rüstungszweck, und die Heeresleitung trat nicht als Geldgeberin in Erscheinung. Bis Kriegsende wurden 119 solcher Betriebe eingerichtet.
Pläne und Verträge
Die Suche nach einem geeigneten Standort für das Ausweichwerk II
Die neue Bosch-Fabrik wurde von Anfang an als heereseigener Betrieb nach dem Montanschema geplant. Vorgabe der Rüstungsplaner war, dass sie in Norddeutschland liegen sollte, weit entfernt von den deutschen Grenzen.
Eine langwierige Suche nach einem geeigneten Standort begann, bei der Vertreter von Bosch, des Oberkommandos des Heeres und der Reichsstelle für Raumordnung einen Kompromiss finden mussten. Die Vertreter von Bosch lehnten mehrere Orte ab, weil es dort weder elektrofeinmechanische Betriebe noch entsprechend geschulte Arbeiter gab und es an einem kulturellen Angebot für die Leute aus Stuttgart fehlte, die den neuen Betrieb aufbauen sollten.
Schließlich entschied man am 17. Oktober 1937, das Ausweichwerk II in Hildesheim zu errichten. Die geografische Lage der Stadt im Zentrum des Reiches, aber auch die gute Tarnung im Hildesheimer Wald und die gleichzeitige Nähe der Stadt sprachen für den Standort. Zudem waren in den Hildesheimer Senking-Werken gerade 250 Mitarbeiter entlassen worden, die man in der neuen Tarnfabrik einzustellen hoffte.
Rüstungsstandort Hildesheim
Man kann die Ansicht des Hildesheimer Historikers Manfred Overesch für übertrieben halten, dass Hildesheim durch die Ansiedlung des zweiten Bosch-Ausweichwerkes „den Sprung von einer Mittel- zu einer Großstadt“ geschafft habe. Tatsächlich aber setzte mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Hildesheim wie auch in anderen Orten Niedersachsens ein Wirtschaftsaufschwung ein, der wesentlich von der Aufrüstung des Dritten Reiches getragen wurde.
Einige Hildesheimer Unternehmen wie etwa die Gummifabrik Wetzell oder die Niedersächsische Gummiwarenfabrik Paul Reipert erhielten schon unmittelbar nach 1933 erste Militäraufträge. Auch andere alteingesessene Betriebe profitierten von den Kriegsvorbereitungen. Besonders die Senking-Werke hatten einen großen Anteil an den Hildesheimer Rüstungsgeschäften. Als Produzent von Öfen, Feldküchen und Kochanlagen für Schiffe belieferten sie schon vor Kriegsbeginn die Wehrmacht; während des Krieges stellten sie auch Artilleriemunition her. Die Eduard Ahlborn AG, bekannt für ihre Molkereimaschinen und Kühlaggregate, errichtete eigens ein neues Werk, um den steigenden Rüstungsaufträgen zu entsprechen, und fertigte u.a. Gefechtsköpfe, Heckteile und Verkleidungen von Maschinenkammern für die Marine. Bei Weitem am wichtigsten aber waren zwei Neugründungen: die Vereinigten Deutschen Metallwerke (VDM), die seit 1934 in Hildesheim vor allem Flugmotorenzubehör für die deutsche Luftwaffe produzierten, und das Bosch-Ausweichwerk II.
Für ein Zentrum der Rüstungsindustrie war die Lage Hildesheims außerordentlich günstig: Die Stadt war an das Streckennetz der Eisenbahn angeschlossen und befand sich in der Nähe der geplanten Reichsautobahn von den Nordseehäfen nach Süddeutschland. Durch einen Stichkanal des Mittellandkanals war Hildesheim außerdem mit dem entstehenden Rüstungszentrum Salzgitter verbunden. 1936 hatte die nationalsozialistische Regierung im Rahmen des Vierjahresplans zur Kriegsvorbereitung beschlossen, dort mit den Hermann-Göring-Werken ein riesiges Eisenhüttenwerk mit 32 Hochöfen zu bauen.
Die wichtigsten Verträge
Nachdem die Standortfrage für das Bosch-Ausweichwerk II geklärt war, wurden in kurzer Zeit alle nötigen Verträge abgeschlossen. Zunächst gründete der Konzern am 18. Dezember 1937 eine Tochterfirma, die Elektro- und Feinmechanische Industrie GmbH (ELFI). Sie hatte ein Grundkapital von 50.000 RM und gehörte zu 98 Prozent der Bosch GmbH. Einen Monat später unterzeichneten die Montan GmbH und die Stadt Hildesheim einen Vertrag über den Erwerb eines etwa 42 ha großen Grundstücks im Hildesheimer Wald, das später durch angrenzende Flächen auf insgesamt 62,42 ha erweitert wurde. Die Stadt zeigte großes Entgegenkommen und verpflichtete sich, eine Straße sowie Elektrizität, Wasser und Gas an das Grundstück heranzuführen. Für die Belegschaft des neuen Werkes sollten die erforderlichen Wohnungen gebaut werden; auch für eine Buslinie zur Fabrik wollte die Gemeinde sorgen. Außerdem versprach die Stadtverwaltung, „Vorbereitungskurse in Feinmechanik einzurichten“.
Am 2. November/30. Dezember 1938 schlossen die Robert Bosch GmbH und das Deutsche Reich, vertreten durch das Oberkommando des Heeres, einen Mantelvertrag bzgl. der Rüstungsfabrik im Hildesheimer Wald: Die Montan überließ ELFI pachtweise das Werksgelände und die Werksanlagen sowie Maschinen, Apparate und einen Teil des Werkzeugs. Dafür hatte ELFI – wie bei den Montanfirmen üblich – einen gestaffelten Pachtzins von bis zu 50 Prozent des Bruttobetriebsüberschusses zu zahlen. Der Vertrag besagte zudem, dass Bosch seiner Tochterfirma ELFI kostenlos Erfindungen, Patente und Erfahrungen zur Verfügung zu stellen hatte. Die Anlaufkosten für das Werk im Hildesheimer Wald übernahm das OKH. Später unterstützte es auch den Wohnungsbau für zugezogene Angestellte und ArbeiterInnen von ELFI.
Im Dezember 1942 wurde der Firmenname geändert. Andere deutsche Unternehmen verwendeten gleiche oder ähnliche Namen wie ELFI und man befürchtete Verwechslungen. Kurzzeitig hieß der Betrieb Elufin Hildesheim, seit Dezember 1942 Trillke-Werke GmbH. Der harmlos klingende Name der Rüstungsfabrik war von dem benachbarten Trillkebach inspiriert.
Planungen für die Fabrik im Hildesheimer Wald
Während Bosch bei der Standortfrage Kompromisse eingehen musste, die dem Konzerngründer nicht gefielen, hatte das Unternehmen bei der Planung der Fabrikanlagen weitgehend freie Hand. Schon Ende 1937 wurden „Organisatorische Wünsche, die bei der Planung des AW II zu beachten wären“, ausgearbeitet, und das Stuttgarter Bautenwerk begann mit der Arbeit an den Vorgaben für die Errichtung der Werksanlagen. Für die Fertigung waren zunächst drei Produktionshallen mit einer Nutzfläche von 3.500 m² und poetischen Tarnnamen vorgesehen: die Amsel- und Drosselhalle als Maschinenhallen und die Eichenhalle für die Produktion von Kleinmaterial sowie für verschiedene Werkstätten. Auch eine Lager- und eine Versandhalle, Gebäude für den Werkzeugbau und die Schlosserwerkstatt sowie für Lehrlingswerkstätten wurden entworfen. Ein Verwaltungsbau und ein Gemeinschaftshaus mit Küche, Gemeinschaftssaal und Wachhaus sollten die Werksanlagen nach außen hin abschließen.
Die Gesamtbaukosten wurden auf 20 Millionen Reichsmark veranschlagt. Erweiterungsbauten waren möglich. Da das Heereswaffenamt bereits im Juli 1937 seine anfänglichen Kapazitätsvorstellungen erhöht hatte, sollten die Werksanlagen bei Bedarf in mehreren Stufen erweitert und die Produktion sollte verdreifacht werden. Dazu war eine Fabrik mit mindestens 10.000 m² Produktionsfläche und hohem Personalbestand nötig. Das Grundstück im Hildesheimer Wald bot dafür genügend Platz.
In einem Schreiben von Bosch an den Regierungspräsidenten in Hildesheim vom 26. April 1938 wurden erste Mitarbeiterzahlen genannt: Rund 2.000 „Gefolgschaftsleute“ – so nannte man damals die Betriebsangehörigen – sollten in der Fabrik arbeiten, später sei es möglich, „den Betrieb so zu erweitern, daß die Belegschaft um etwa 60 bis 80 Prozent vergrößert werden kann“, wurde in dem streng geheimen Brief erwogen.
Eine Fabrik entsteht
Die Bauarbeiten
Offizieller Baubeginn war im Mai 1938. Für die Arbeiten wurden ortsansässige Firmen herangezogen; vor allem die Firma Mölders aus Hildesheim erhielt zahlreiche Aufträge. Etwa 7,5 km vom Stadtzentrum entfernt entstand nun das Ausweichwerk II nach Plänen des Bosch-Bautenwerks. Architekt war Hermann Freudenreich, an den im Hildesheimer Bosch-Werk noch heute eine Tafel erinnert.
Aus Luftschutzgründen wurde ELFI wie auch die DLMG im Wald errichtet. Die Produktion wurde auf mehrere Hallen verteilt, die in ihren Achsen leicht gegeneinander verschoben waren, damit sie bei einem Reihenbombenabwurf nicht alle getroffen würden. Um die Anlage zu tarnen, wurden die Hallen in einem Abstand von mindestens 80 Metern errichtet und durften maximal 15 Meter hoch sein, damit sie die Baumwipfel nicht überragten.
Ein Plan zeigt einen Teil der Anlage, der bis heute weitgehend erhalten ist: Werk- und Lagerhallen liegen an einer Mittelachse, die das gesamte Gelände durchzieht. Diesen Hallen vorgelagert sind eine Fahrzeughalle und die Werkerhaltung sowie der Verwaltungsbau, dem der Werkzeugbau angegliedert ist.
Die Bauarbeiten kamen nur schleppend voran. Das Richtfest verzögerte sich um ein Jahr, und als es im Dezember 1940 gefeiert wurde, befand sich ein Großteil der Anlage noch im Rohbauzustand.
Trotzdem begann ELFI 1939 mit der Produktion, allerdings nicht auf dem Werksgelände, sondern in angemieteten Räumen in Hildesheim. Dort richtete die Firma eine Lehrlingsabteilung und eine Anlernwerkstatt für fachfremde Arbeiter ein. Zunächst wurden jedoch nur Einzelteile für den Mutterkonzern gefertigt.
Im Geschäftsjahr 1940/41 wurden die Versandhalle, die erste Maschinenhalle und der Verwaltungsbau fertiggestellt und die Werkstätten, für die ELFI Räume in Hildesheim gemietet hatte, konnten auf das Betriebsgelände verlegt werden. Trotzdem lieferte ELFI auch in diesem Jahr noch immer „Einzelteile für die Erzeugnisse unseres späteren Fertigungsprogramms“ an die Muttergesellschaft. Das „Gefolgschaftshaus“, in dem sich heute die Kantine des Hildesheimer Bosch-Werks befindet, wurde 1942 fertiggestellt. In der zweiten Ausbaustufe wurde 1942/43 auch in der Amselhalle die Produktion aufgenommen.
„Eine der schönsten Werksanlagen, die je gebaut wurden“
Mit Laternenaufbauten und Sheddach-Konstruktionen entsprachen die aus rotem Backstein gemauerten Hallen den damals modernsten Standards. Gedeckte Übergänge verbanden die Hallen miteinander. In den Kopfbauten waren Büros und Kantinen untergebracht, Umkleideräume und Duschen befanden sich in den Kellern, die auch als Luftschutzräume genutzt werden konnten. Der Technische Leiter des Werks, Karl Martin Dolezalek, schwärmte später, dass die Fabrikgebäude von ELFI/Trillke „eine der schönsten Werksanlagen sind, die je gebaut wurden“. Auch die ehemalige Zwangsarbeiterin Helena Bednarska beschreibt die im Wald gelegene Fabrik als außergewöhnlich schön. Zum Video »
1943/44 ließ das Unternehmen – inzwischen hieß es Trillke-Werke GmbH – einen Gleisanschluss an die Strecke zur Munitionsanstalt Diekholzen und damit an den Bahnhof Marienburg legen und erhielt so eine Schienenverbindung zum Hildesheimer Hauptbahnhof.
Luftschutzanlagen errichtete die Firma erst spät. Lange dienten die Keller unter den Hallen als Schutz bei Fliegeralarm. 1944 wurde am Rand des Betriebsgeländes ein Luftschutzstollen in einen Berg getrieben. Irena Matuszak, eine Polin, die für Trillke arbeiten musste, hat darüber berichtet: „Auf der einen Seite saßen die Ausländer und auf der anderen die Deutschen. Dieser Bunker war noch nicht fertig, und wenn wir dort länger hätten sitzen müssen, wären wir erstickt, denn es gab keine Lüftung. Alles drängte sich also nach vorne, wo es mehr Luft gab. Diesen Bunker hätte keine Bombe zerstört.“ Auch ein Beobachtungsturm, der für die Flak genutzt werden konnte, wurde auf dem Werksgelände gebaut. Doch die Fabrik wurde niemals angegriffen.
Engpass Arbeitskräfte
Als Geschäftsführer wurden schon während der Planungsphase des Ausweichwerks zwei Abteilungsleiter des Stuttgarter Stammwerks bestellt: Die technische Leitung übernahm zunächst Hermann Bauer, der aber nach einem Jahr durch den Ingenieur Karl Martin Dolezalek ersetzt wurde. Kaufmännischer Werksleiter war Max Clostermeyer, Mitglied der NSDAP und der SS, der bereits bei den Standortverhandlungen hervorgetreten war. In der Reichsbetriebskartei (Stand Februar 1944) ist er außerdem als Arbeitseinsatzingenieur und Mobbeauftragter (also für den Mobilisierungsfall zuständig) aufgeführt. Bei der Überwachung und Disziplinierung der ArbeiterInnen standen ihm der Abwehrbeauftragte H. Günzler, der Werkschutzleiter E. Stoll und der berüchtigte Luftschutzleiter W. Stein zur Seite, über dessen Brutalität mehrere Zeitzeuginnen berichtet haben.
Schon während der Planungsphase der Rüstungsfabrik befassten sich die Werkleiter mit der Frage, wie sie qualifizierte ArbeiterInnen bekommen könnten.
Lange bevor das Ausweichwerk II in Betrieb genommen wurde, gründete Bosch in Räumen des Städtischen Gaswerkes in der Carl-Peters-Straße in Hildesheim eine Lehrlings- und Anlernwerkstatt. In der Tapetenfabrik G. L. Peine in der Eckemeckerstraße unweit der Andreaskirche wurde eine Lehrwerkstatt für den Werkzeugbau eingerichtet. Im März 1940 arbeiteten bereits 597 „Gefolgschaftsmitglieder“ bei ELFI, darunter etwa 100 Facharbeiter aus Stuttgart, die die Lehrlinge und neuen Arbeiter schulten.
Obwohl seit Kriegsbeginn viele Bosch-Mitarbeiter zur Wehrmacht eingezogen wurden, stieg die Zahl der Beschäftigten. Es waren vor allem Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen, die die Belegschaft nun vergrößerten. 1941 waren 21 Prozent der in der Produktion Tätigen AusländerInnen. 1944 arbeiteten 4.290 Männer und Frauen in den Trillke-Werken, davon waren 2.019 ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangene und Militärinternierte. Insgesamt mussten während des Zweiten Weltkrieges 2.711 AusländerInnen im Hildesheimer Bosch-Werk Zwangsarbeit leisten.
Trotzdem klagten Clostermeyer und Dolezalek immer wieder über den Mangel an Facharbeitern. Im Januar 1940 erwirkte ELFI die Genehmigung, die Arbeitszeit von 48 auf 60 Wochenstunden erhöhen zu können. Im Oktober wurde der Zwei-Schichten-Betrieb eingeführt, ab Februar 1943 wurde in drei Schichten rund um die Uhr gearbeitet. Die Arbeitszeiten waren sehr differenziert, im Durchschnitt lagen sie bei 54 Stunden in der Woche.
„Wesentlich für die Leistung sind befriedigende Wohnverhältnisse“
Bosch hatte vorgesehen, etwa 300 bis 400 qualifizierte Feinmechaniker und Werkzeugmacher aus Stuttgart nach Hildesheim zu bringen, und die Stadt hatte zugesagt, für diese Personen und ihre Familien Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Schon 1938 begannen die Planungen für 30 reichseigene Wohnungen unmittelbar neben dem Werk. Bis 1941 wurden für leitende Bosch-Mitarbeiter und ihre Familien Ein- und Zweifamilienhäuser sowie 15 Reihenhäuser errichtet. Architekt der sogenannten Montansiedlung war Friedrich Pries aus Hildesheim. Die Straßennamen Feuerbacher Weg, Stuttgarter Straße oder Cannstädter Weg und Uhlandweg sowie Stuckaturen an den Häusern mit Motiven aus dem Schwank „Die sieben Schwaben“ und dem Lied „Die Schwäbische Eisenbahn“ sollten den Leuten aus Stuttgart ein wenig Heimatgefühl vermitteln.
Doch diese Wohnungen reichten bei Weitem nicht aus. Der Bezirk Niedersachsen sei das Engpassgebiet im Hinblick auf Arbeitskräfte, schrieb ELFI am 10. Dezember 1940 an das OKH. Man sei daher darauf angewiesen, auch in anderen Gebieten Deutschlands Arbeitskräfte anzuwerben und müsse für diese Wohnungen bereitstellen: „Wesentlich aber für das Wohlbefinden und die Arbeitsfreudigkeit und damit auch die Leistung der Gefolgschaft sind befriedigende Wohnverhältnisse.“ Insgesamt benötige ELFI weitere 535 Wohnungen für verheiratete und 455 Wohnungen für ledige „Gefolgschaftsmitglieder“.
Ein solches Wohnungsbauprogramm konnte die Stadt Hildesheim nicht bewältigen. ELFI schaltete daher die „Neue Heimat“ ein, die gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der Deutschen Arbeitsfront. Sie baute in der nahe gelegenen Siedlung Neuhof 90 Wohnungen. Die Gemeinnützige Bau-Gesellschaft der Stadt erschloss mit Unterstützung des OKH neben der Montansiedlung die neue Siedlung Kaninchenbrink und stellte in zweigeschossigen Mehrfamilienhäusern 312 Wohnungen bereit. All diese Wohngebäude wurden mit besonders dicken Wänden und teilweise mit bunkerähnlichen Kellern gebaut. Sie stehen heute als Gruppendenkmal unter Denkmalschutz.
Die insgesamt 402 neuen Wohnungen für das Bosch-Zweigwerk genügten nicht für den errechneten Bedarf. Daher brachte das Unternehmen ledige Deutsche auch in Wohnheimen auf dem Werksgelände unter. Für ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene wurden Wohnlager sowohl auf dem Betriebsgrundstück als auch in der Nähe der Fabrik errichtet.
In einem Schreiben an das Gewerbeaufsichtsamt vom Sommer 1943 teilten die Trillke-Werke mit, „dass wir in unserem Werkgelände 2 Wohnlager mit einer Gesamt-Belegungsmöglichkeit für etwa 1.300 Arbeitskräfte errichtet haben. Derzeitige Belegungsstärke: ca. 1.000 Arbeitskräfte.“ Es wurden weitere Baracken gebaut, sodass die Firma im März 1944 über rund 2.100 Plätze in Wohnlagern – ohne Gasthöfe – verfügte, von denen 1.700 belegt waren, wie ein werkseigener Bericht festhielt. „Ein Massiv-Barackenlager mit etwa 800 weiteren Plätzen ist in einer Entfernung von 1 km zum Werk im Bau. Die Fertigstellung ist voraussichtlich im Spätsommer 1944 erreicht.“
Produkte – Expansion – Verlagerungen
Anlasser, Zünder und Lichtmaschinen
Anlasser, Gleichstromlichtmaschinen, Schwungkraftanlasser und Hochleistungsmagnetzünder, Verteiler und die dazugehörenden Zündspulen, Schaltkästen und Schaltrelais für Großstarter sowie Entstörgeräte – dieses Zubehör für Benzin- und Dieselmotoren bestellte das OKH bei Bosch. Für den Konzern war es vorteilhaft, dass er für die Fertigung im Hildesheimer Wald auf seine überkommene Produktpalette zurückgreifen und seine marktführende Stellung auf diesem Gebiet ausbauen konnte. Entsprechend selbstbewusst schrieb ELFI-Geschäftsführer Max Clostermeyer am 29. März 1939 an die Montan GmbH: „Fertigungstechnisch, d.h. hinsichtlich Einrichtung, Maschinenpark, Werkzeugausrüstung, Fertigungsverfahren und -tempo werden wir den Wettbewerbern gewachsen sein.“
Schon bei der Planung und beim Bau des Ausweichwerks hatte man auf die damals sehr fortschrittliche Fließproduktion gesetzt; in den folgenden Jahren, vor allem ab Sommer 1942, wurde zunehmend Fließbandarbeit eingeführt. Bosch plante detailliert alle Arbeitsprozesse, die einzelnen Arbeitsschritte wurden zunehmend zerlegt. Das erleichterte auch den Einsatz von ungelernten ZwangsarbeiterInnen. Neben handelsüblichen Maschinen und Automaten nutzte ELFI/Trillke auch Spezialmaschinen, die nach eigenen Vorgaben gebaut wurden. Für besondere Werkzeuge unterhielt das Unternehmen eine Werkzeugmacherei.
Nachdem ELFI anfangs nur Einzelteile an die Bosch-Werke in Stuttgart und Feuerbach geliefert hatte, dehnte das Ausweichwerk seine Produktion auf kleinere Lichtmaschinen und Magnetzünder sowie elektrische Anlasser und Schwungkraftanlasser für PKWs aus.
Anfang 1940 überlegte man bei Bosch, dass ELFI seine Produktion auf Ausrüstungsteile für Sonderfahrzeuge des Heeres wie Panzerwagen, Zugmaschinen oder Funkwagen konzentrieren sollte. Wenige Monate später drängte das OKH bei ELFI auf eine beschleunigte Produktion für die Ausstattung der schnellen Truppen, zu denen neben der Panzertruppe vor allem auch die motorisierte Infanterie und die Panzerjäger gehörten. Daher fertigte ELFI seit Herbst 1941 zunehmend Anlasser, Magnetzünder und Lichtmaschinen für Panzer, Zugmaschinen und schwere Lastkraftwagen. Manfred Overesch beschreibt diese Aggregate detailliert in seinem Buch „Bosch in Hildesheim 1937-1945“.
Expansion und Konzentration: Trillke wird Monopolist für Panzeraggregate
Während des Krieges stieg die Zahl der neu produzierten Panzer stetig an, vor allem nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 und infolge des „Adolf-Hitler-Panzerprogramms“, das eine Verdopplung der bisherigen Planziele bei der Panzerproduktion vorsah. Allein zwischen Anfang 1942 und Juli 1944 verfünffachte sich der Ausstoß von Panzern. „Wir haben in steigendem Maße Anteil an der Lieferung von elektrischem Zubehör für Heereskraftfahrzeuge, vor allem Panzerkampfwagen und Zugmaschinen (Adolf-Hitler-Panzerprogramm)“, heißt es im Geschäftsbericht 1942/43.
Im Hildesheimer Bosch-Werk nahmen die Aufträge für die nötigen Aggregate entsprechend zu, auch die Produktion zog deutlich an: Während ELFI im Geschäftsjahr 1941/42 noch 32.553 „Einheiten“ hergestellt hatte (damit waren jeweils vollständige Produkte wie Anlasser, Zünder oder Lichtmaschinen gemeint), verließen 1942/43 bereits 109.066 Einheiten das Werk.
In dieser Zeit wurden die Anlagen im Hildesheimer Wald erweitert und Trillke übernahm im September 1943 vom Stammwerk in Stuttgart die restliche noch dort verbliebene Produktion von Zündmaschinen, Anlassern und Lichtmaschinen für Panzer und schwere LKW. Ab Oktober 1943 fuhr kein neuer deutscher Panzer mehr ohne die Starterelemente aus Hildesheim. Das führte zu einer weiteren Erhöhung des Ausstoßes: 1943/44 fertigte Trillke 268.866 Einheiten, rund 140 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Monopolstellung der Trillke-Werke widersprach allerdings den Bemühungen der Nationalsozialisten, besonders kriegswichtige Produktionen auf mehrere Fabriken zu verteilen.
Die Leistungen von ELFI/Trillke wurden durch mehrere Auszeichnungen honoriert, etwa für vorbildliche Berufserziehung, vorbildliche Förderung von Kraft durch Freude oder durch die Anerkennung als Kriegsmusterbetrieb. Diese Auszeichnung verlieh Albert Speer, Reichsminister für Munition und Bewaffnung, an Firmen mit vorbildlicher Leistung der Betriebsgemeinschaft.
Die enorme Steigerung der Produktion schlug sich auch in den Bilanzen nieder. Im Geschäftsjahr 1942/43 lag die Bilanzsumme der Trillke-Werke bei 6,5 Mio. RM, bis 1943/44 stieg sie auf knapp 11,8 Mio. RM.
Zu dieser Zeit bereitete man in der Konzernspitze die Privatisierung der bisher gepachteten Trillke-Werke vor. Das OKH hatte dagegen nichts einzuwenden, verlangte aber einen Preis für das Ausweichwerk, den Bosch nicht zu zahlen bereit war. Erst 1952 kaufte Bosch von der Nachfolgefirma der Montan die Trillke-Werke und gliederte sie in den Konzern ein.
Verlagerungen
Obwohl die Trillke-Werke ein Verlagerungsbetrieb des Bosch-Konzerns waren, lagerten sie gegen Kriegsende selbst Teile der Produktion aus. Im Sommer 1943 ließ Trillke Werkzeuge, Material und Schulungspersonal in das Zuchthaus Celle bringen, wo Werkstätten vor allem für die Ankerwickelei eingerichtet wurden. Das Zuchthaus Celle war eine der wichtigsten verlängerten Werkbänke der Trillke-Werke GmbH.
In Hameln richtete das Unternehmen in der Zuckerfabrik L.G. Meyer eine Verlagerungswerkstatt ein. 54 ZwangsarbeiterInnen mussten dort arbeiten, darunter 34 Frauen aus der Sowjetunion.
In Goslar nutzte Trillke Gebäude der Greif-Werke, einer Fabrik für Bürobedarf, um Zündanker, Kollektoren und Magnetschalter zu fertigen. Teodora Adamek hat berichtet, wie sie zusammen mit anderen Zwangsarbeiterinnen von Trillke für sechs Wochen nach Goslar geschickt wurde, wo sie deutsche Frauen anlernen sollten. Insgesamt waren etwa 60 Zwangsarbeiterinnen in den Greif-Werken für Trillke tätig, vorwiegend Frauen aus Polen und der Sowjetunion.
Auch in Hildesheim selbst unterhielt Trillke verlängerte Werkbänke: In der Druckwalzenfabrik W. Lampe fertigten 23 Frauen und fünf Männer Magnetzünder und Unterbrecher, auf dem Trillke-Gut wurden u.a. Verbindungskabel für Trillke hergestellt.
Aufgrund der zunehmenden Bombenangriffe auf Fabrikanlagen der Rüstungsindustrie wurden seit 1943 zum Schutz und zur Tarnung dieser Betriebe große Bunker errichtet und ganze Werke unter Tage gebaut. Sowohl der forcierte Bau dieser Anlagen als auch die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Stollen und Schächten forderten viele Menschenleben. Trotzdem konkurrierten zahlreiche Unternehmen um diese Verlagerungsmöglichkeiten, weil sie auf diese Weise wertvolle Maschinen in die Nachkriegszeit hinüberzuretten hofften.
Auch die Trillke-Werke schreckten vor dem Versuch einer Untertageverlagerung nicht zurück. So meldeten sie Interesse an, als in der Hügelkette des Hils im Weserbergland Asphaltkalkgruben für die Aufnahme von Rüstungsunternehmen hergerichtet wurden. Die Gruben mit dem Decknamen Hecht wurden jedoch an andere Firmen vergeben.
Befreiung und Neubeginn
Die Befreiung
Die Trillke-Werke überstanden die Luftangriffe auf Hildesheim im Zweiten Weltkrieg ohne jeglichen Schaden. Obwohl die britische Royal Air Force die Anlagen bei einem Aufklärungsflug im Februar 1945 fotografiert hatte, wurden sie nie bombardiert. Am 7. April 1945 erreichten Truppen der 9. US-Armee das Werk und besetzten es. Bereits am folgenden Tag wurden sämtliche ZwangsarbeiterInnen entlassen. Auch den meisten deutschen MitarbeiterInnen wurde bis zum 1. September gekündigt, nur 585 Personen waren damals noch bei Trillke angestellt.
Nach einer kurzen Übergangszeit, in der nur Reparaturarbeiten durchgeführt wurden, erhielt der Betrieb am 29. Juni 1945 von den Briten die Erlaubnis für eine Friedensproduktion. Jetzt wurde in den Trillke-Werken neben Fenstern und Türen, Werkzeugen und Ersatzteilen für landwirtschaftliche Maschinen auch wieder elektronisches Zubehör für Kraftfahrzeuge hergestellt. 750 Personen durfte Trillke beschäftigen.
Für Bosch begann eine Zeit großer Unsicherheit, weil die amerikanische Militärregierung und die britischen Besatzer eine Entflechtung der deutschen Wirtschaft anstrebten. Alle Firmen mit mehr als 10.000 MitarbeiterInnen sollten daraufhin geprüft werden, ob sie nicht „eine übermäßige Wirtschaftsmacht“ darstellten. Auch Bosch als eines der größten Rüstungsunternehmen Deutschlands war davon betroffen und sollte sich von allen außerhalb Stuttgarts gelegenen Werken trennen. Nach langen Verhandlungen und mit Hilfe des Wirtschaftsministeriums in Bonn kam es Anfang 1952 schließlich zu einem Vergleich, bei dem Bosch gut abschnitt. Im April 1952 wurde die Trillke-Werke GmbH im Handelsregister gelöscht und nun unter dem Namen Robert Bosch GmbH/Werk Hildesheim geführt.
Auf dem Trillke-Gelände war auch Blaupunkt ansässig. Das Unternehmen, das schon seit den 1930er Jahren zum Bosch-Konzern gehörte, hatte bereits im Januar 1945 Teile seiner Produktion, die Fertigung von „Korfu“-Funkmessgeräten, aus Küstrin nach Hildesheim verlagert. Nach Kriegsende reparierte Blaupunkt im Verwaltungsgebäude und in einer Halle von Trillke Rundfunkgeräte, ab 1948 wurden wieder Autoradios hergestellt.
Ende 1945 wurde Hildesheim zum Firmensitz der neu gegründeten Blaupunkt-Apparatebau GmbH (BPAG). Als Blaupunkt Anfang der 1950er Jahre den Firmensitz von Berlin nach Hildesheim verlegte, wurde die BPAG zur Blaupunkt-Werke GmbH umfirmiert. Die beiden Werke im Hildesheimer Wald expandierten schnell. Am 16. Juni 1959 lieferte Blaupunkt das einmillionste Autoradio aus. Um diese Zeit arbeiteten im Hildesheimer Wald 6.000 Menschen für Blaupunkt und etwa 4.000 in der Bosch-Fertigung für die Autoindustrie.
Zum Forschungsstand
Zum Hildesheimer Bosch-Werk gibt es kaum Untersuchungen. Jeder, der sich näher dafür interessiert, greift zu Manfred Overeschs Buch „Bosch in Hildesheim 1937-1945“, das 2008 erschienen ist. Der Hildesheimer Historiker hat die Quellen, die im Bosch-Archiv in Hildesheim verwahrt werden, intensiv ausgewertet. Daher beruft sich Stefan A. Oyen in einem Aufsatz über das Werk im Hildesheimer Wald auf die von Overesch zitierten Quellen. Johannes Bähr, der mit Paul Erker das große Standardwerk „Bosch. Geschichte eines Weltunternehmens“ geschrieben hat, stützt sich ebenfalls auf Overeschs Arbeit, wenn es um ELFI/Trillke geht. Bähr und Oyen kommen allerdings in vielen Fragen zu etwas anderen Wertungen als Overesch.
Auch ich beziehe mich immer wieder auf Overesch, allerdings ohne seine Begeisterung für das Unternehmen im Hildesheimer Wald und seine Einschätzung des Zwangsarbeitseinsatzes bei ELFI/Trillke zu teilen. Seine Darstellung, deren Aufbau und wissenschaftlicher Apparat übrigens nicht frei von Mängeln sind, entspringt offensichtlich dem Wunsch, das Unternehmen zu exkulpieren.
„Wenn schon, dann zu Trillke“ ist das Kapitel über die ausländischen Arbeitskräfte überschrieben (der Begriff Zwangsarbeit kommt bei Overesch nicht oft vor). Dieser Titel suggeriert zum einen fälschlicherweise, dass die ZwangsarbeiterInnen sich hätten aussuchen können, wo sie arbeiten wollten. Zum anderen erweckt er den Eindruck, dass ihre Arbeitsbedingungen im Hildesheimer Bosch-Werk besonders gut gewesen seien. Für diese Behauptung fehlen aber systematische Vergleiche mit anderen Rüstungsunternehmen. Zudem findet man bei Overesch kaum etwas über die Probleme der ZwangsarbeiterInnen, über ihr Leiden an Hunger, Kälte und Erschöpfung. Misshandlungen und Einweisungen in Arbeitserziehungslager werden nur am Rande erwähnt. Overeschs Fazit lautet, der Einsatz der ZwangsarbeiterInnen sei „trotz der humanen Katastrophen unter den Bedingungen des Krieges eine relative Erfolgsgeschichte“. Dem ist ein Satz aus der Bosch-Firmengeschichte von Johannes Bähr und Paul Erker entgegenzustellen: „Der soziale Anspruch, der zu den besonderen Merkmalen der ‚Boschgemeinschaft‘ gehörte, galt für die ausländischen Zwangsarbeiter nicht.“
Die eigentliche Betriebsgeschichte ist von Overeschs großer Sympathie für Robert Bosch, seinen Konzern und dessen Technologie getragen. Dass „ab Oktober 1943 kein deutscher Panzer mehr ohne Lichtmaschine, Elektro- und Schwungkraftanlasser sowie Magnetzünder aus dem Hildesheimer Wald lief“, ist für den Historiker „eine einzigartige rüstungstechnische Monopolstellung, geradezu ein Unikum in der deutschen und auch in der internationalen Rüstungslandschaft.“ Er möchte ausloten, welche Chancen und Grenzen das „freie Unternehmertum in den Zwingen nationalsozialistischer Rüstungspolitik“ hatte und kommt zu dem Ergebnis, dass es sich trotz der Diktatur und des „auf abschottende Autarkie pochenden nationalsozialistischen Wehrwirtschaftssystems“ behaupten konnte. Damit liefert er – vermutlich ungewollt – den Beweis, dass der Bosch-Konzern große Verantwortung für die Kriegsfähigkeit des NS-Regimes hatte.
Robert Bosch: Pazifist oder Rüstungsindustrieller?
Dass der Bosch-Konzern in den ersten Jahren nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gleich zwei neue Rüstungsfabriken errichtete, mag angesichts der politischen Haltung des Firmengründers überraschen. Robert Bosch stand der nationalsozialistischen Kriegspolitik durchaus kritisch gegenüber. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er sich für eine Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich und einen dauerhaften Frieden in Europa engagiert. In einem persönlichen Gespräch versuchte er auch Adolf Hitler dafür zu gewinnen. Der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen hat er nie angehört. Mit einigen seiner engsten Mitarbeiter rettete er Juden und andere Verfolgte des Nationalsozialismus vor der Deportation. Und er unterhielt Beziehungen zu Carl Goerdeler und anderen Personen des 20. Juli 1944, der wichtigsten militärischen Widerstandsgruppe gegen Hitler. Das Unternehmen unterstützte Goerdelers Anliegen zudem finanziell mit einem Beratervertrag.
Trotzdem akzeptierte Robert Bosch die Gründung der beiden Tarnfabriken in Kleinmachnow bei Berlin und im Hildesheimer Wald. Seine Einwände dagegen, soweit sie überhaupt bekannt sind, resultierten vor allem aus unternehmerischen Überlegungen: Der Bau der Dreilinden Maschinenbau GmbH war mit finanziellen Belastungen verbunden und die Gründung der ELFI GmbH widersprach der bisherigen Konzernpolitik, nur an solchen Orten zu investieren, an denen es schon eine feinmechanische Industrie und damit entsprechend ausgebildete ArbeiterInnen gab.
Diese Bedenken wurden jedoch dem Unternehmensziel untergeordnet, „unsere teilweise monopolartige Stellung als Automobilzubehör-Firma in Deutschland weiter unter allen Umständen zu halten und zu verteidigen“ – so ein Vorstandsmitglied 1938. Um das zu erreichen, stellte der Konzern zunehmend auf Rüstungsproduktion um. „1940 entfielen 67 Prozent des Umsatzes auf Aufträge des Heeres, der Luftwaffe und der Marine, 18,7 Prozent auf ‚kriegswichtige Zivillieferungen‘ und 14,3 Prozent auf den Export.“ Bosch wurde zu einem der wichtigsten Rüstungsunternehmen des Dritten Reiches. Robert Bosch, der bis zu seinem Tod 1942 allein zeichnungsberechtigter Geschäftsführer blieb, änderte nichts an dieser Entwicklung.
Den Einsatz von ZwangsarbeiterInnen hat Robert Bosch gebilligt. Bereits Anfang November 1939 trafen die ersten Kriegegefangenen zur Arbeit im Stammwerk Stuttgart ein. Ab März 1941 beschäftigte Bosch auch zivile ZwangsarbeiterInnen, in den letzten Kriegsjahren KZ-Häftlinge. Ohne die Mittäterschaft des Konzerns wäre ihre Integration in die Rüstungsproduktion nicht möglich gewesen.
Doch die Vorstellung, die Industriellen hätten die Beschäftigung von Zwangsarbeitern generell verweigern können, ist wohl hypothetisch. Es habe nicht einmal eines unmittelbaren Zwangs vonseiten des NS-Regimes bedurft, um die Firmen zum Einsatz von ZwangsarbeiterInnen zu bewegen, so Christoph Buchheim in seiner Überblicksstudie „Unternehmen in Deutschland 1933-1945. Versuch einer Synthese“. Vielmehr habe das Interesse der Unternehmer am möglichst unbeschadeten Überleben ihres Betriebs dazu geführt, dass sie „jede sich eröffnende neue Quelle an Arbeitskräften“ begierig ausgeschöpft hätten.
Angela Martin
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